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Originaltext: Beschluss FG
Düsseldorf vom 29.06.2006, 8 V 2091/06 A
Tenor: Die Vollziehung des Kraftfahrzeugsteuerbescheids vom 20.03.2006 wird ab
Fälligkeit bis einen Monat nach Bestandskraft einer Entscheidung über den
hiergegen eingelegten Einspruch mit der Maßgabe ausgesetzt, dass die
Kraftfahrzeugsteuer für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen weiterhin
nach dem zulässigen Gesamtgewicht bemessen wird. Die Berechnung des
auszusetzenden Betrages wird dem Antragsgegner übertragen. Der Antragsgegner
trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung eines
Kraftfahrzeugsteuerbescheides. Die Antragstellerin betreibt eine Autovermietung.
Sie ist Halterin eines Kraftfahrzeuges vom Typ Land Rover Defender mit einem
Leergewicht von 2.055 kg und einem zulässigen Gesamtgewicht von 2.950 kg. Bei
dem Wagen handelt es sich lt. Fahrzeugbrief um einen geschlossenen Pkw mit
Dieselantrieb, der einschl. Führersitz über 5 Sitzplätze verfügt. Er wurde
zunächst als Lastkraftwagen nach Gewicht besteuert. Mit gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1
des Kraftfahrzeugsteuergesetzes -KraftStG- geändertem Bescheid vom 20.03.2006
stufte der Antragsgegner den Land Rover ab dem 01.05.2005 als Pkw ein und
besteuerte ihn gemäß § 8 Abs. 1 KraftStG nach Hubraum und Schadstoffausstoß. Den
Wechsel der Fahrzeugart begründete er mit dem Wegfall des § 23 Abs. 6a der
Straßenverkehrszulassungsordnung -StVZO-. Über den gegen den
Kraftfahrzeugsteuerbescheid eingelegten Einspruch hat er noch nicht entschieden,
sondern das Verfahren zum Ruhen gebracht. Den Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung hat er abgelehnt.
Die Antragstellerin hat daraufhin das Gericht mit der Bitte um vorläufigen
Rechtsschutz angerufen.
Sie trägt vor:
Die Besteuerung des Fahrzeugs hätte gem. § 8 Abs. 2 KraftStG wie bisher nach
Gewicht erfolgen müssen, weil es sich um ein "anderes Fahrzeug" im Sinne dieser
Vorschrift handele. Die im Kraftfahrzeugsteuergesetz verwendeten Begriffe des
Verkehrsrechts richteten sich nach den jeweils geltenden verkehrsrechtlichen
Vorschriften. An die Stelle des ersatzlos gestrichenen § 23 Abs. 6a StVZO seien
Bestimmungen des gemeinschaftlichen Verkehrsrechts getreten. Der Antragsgegner
hätte auf die EU-Richtlinie 70/156/EWG vom 06.02.1970 in der Fassung der
Richtlinie 2001/116/EG vom 20.12.2001 zurückgreifen müssen, die die Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für
Fahrzeuge regele.
Lt. Anhang II Gliederungspunkt C Nr. 1 werde nicht als Fahrzeug der Klasse M 1
(Pkw) angesehen ein "AF-Mehrzweckfahrzeug" (Kraftfahrzeuge zur Beförderung von
Fahrgästen und deren Gepäck oder von Gütern in einem einzigen Innenraum), wenn
es außer dem Fahrersitz nicht mehr als 6 Sitzplätze habe und außerdem die
Voraussetzungen der "Bedingung P ./. (M + N x 68) größer als N x 68" erfülle.
Dies träfe auf den Land Rover Defender zu.
Wegen des weitergehenden Vorbringens der Antragstellerin wird auf die
Einspruchsbegründung vom 26.04.2006 und die Antragsschrift vom 15.05.2006
verwiesen.
Die Antragstellerin beantragt,
- die Vollziehung des Bescheides vom 20.03.2006 auszusetzen, soweit die
Steuer höher als 172,31 EUR festgesetzt ist,
- soweit Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, die Verwirkung von
Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den
Aussetzungsantrag aufzuheben,
hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen,
hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
Er trägt vor, die Anwendbarkeit der Lastenformel für M 1 AF-Fahrzeuge könne den
vorliegenden präsenten Unterlagen nicht entnommen werden. Die Anzahl der
Sitzplätze gehe aus der Kopie des Fahrzeugbriefes, soweit sie lesbar sei, ebenso
wenig hervor wie die Angabe zur Masse in fahrbereitem Zustand (2.055 kg statt
2.020 kg). Auch wenn die EU-Richtlinien seit dem 01.07.2002 von den
Mitgliedstaaten verbindlich anzuwenden seien und sich deshalb gem. § 2 Abs. 2
Satz 1 KraftStG eine Bindung für die Einstufung von Kraftfahrzeugen ergäbe, habe
der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass der Land Rover Defender ein
AF-Mehrzweckfahrzeug
und insbesondere keine AC-Kombi-Limousine sei. Nach
Anhang II A Nr. 1 der Richtlinie 2001/116/EG handele es sich bei für die
Personenbeförderung ausgelegten und gebauten Kraftfahrzeugen mit höchstens 8
Sitzplätzen außer dem Fahrersitz um Personenkraftwagen der Klasse M 1, und zwar
unabhängig von der Aufbauart.
Der Antrag ist begründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO- kann
das Gericht die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsakts
ganz oder teilweise anordnen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit
bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der
Sach- und Rechtslage neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen
gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder
Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10.
Februar 1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182; ständige Rechtsprechung).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Bei summarischer Prüfung ist
es
ernstlich zweifelhaft, ob der Antragsgegner gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG
berechtigt war, die Kraftfahrzeugsteuer durch den angefochtenen Bescheid zu
ändern. Eine Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer ist danach nur möglich, wenn
sich die Bemessungsgrundlage oder der Steuersatz geändert haben. Die von der
ursprünglichen Besteuerung als Lkw abweichende Besteuerung als Pkw nach § 8
Abs. 1 KraftStG begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken. Es sprechen
gewichtige Gründe dafür, dass trotz der ersatzlosen Aufhebung des § 23 Abs. 6a
StVZO durch die 27. Verordnung zur Änderung der StVZO vom 02.11.2004 mit
Wirkung ab 01.05.2005, der die Einstufung des Fahrzeugs als Lkw wegen des
zulässigen Gesamtgewichts von mehr als 2,8 t ermöglichte, der Land Rover
Defender weiterhin als anderes Fahrzeug i.S.d. § 8 Abs. 2 KraftStG zu besteuern
ist.
An die Eintragung im Fahrzeugbrief "Pkw geschlossen" ist der Antragsgegner nicht
gebunden. Die verkehrsbehördliche Zulassung ist kein Grundlagenbescheid i.S.d. §
171 Abs. 10 AO (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteil
vom 26. August 1997 VII R 60/97, BStBl II 1997, 744). Auch ist der Begriff "Pkw"
im
KraftStG nicht definiert. Jedoch richten sich die im Gesetz verwendeten Begriffe
des
Verkehrsrechts gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG nach den jeweils geltenden
verkehrsrechtlichen Vorschriften. Auf Grund dieser ausdrücklichen Anbindung an
das Verkehrsrecht ist die Frage, was ein Pkw ist, nach Verkehrsrecht zu
bestimmen
(vgl. FG Köln, Beschluss vom 28.11.2005 6 V 3715/05, EFG 2006, 444).
In diesem Sinne hat der BFH auch in sämtlichen Entscheidungen, in denen es um
die Abgrenzung Pkw oder Lkw ging, stets auf die verkehrsrechtliche Vorschrift
des §
23 Abs. 6a StVZO zurückgegriffen und hieraus seine "Pkw-Definition" entwickelt.
Trotz des Wegfalls dieser Vorschrift ist für die Abgrenzung kein
definitionsfreier
Beurteilungsspielraum entstanden. Denn verkehrsrechtliche Vorschriften können
auch im europäischen Gemeinschaftsrecht verankert sein, auf die beim Fehlen
nationaler Bestimmungen zurückzugreifen ist. Einschlägig ist im Streitfall die
EU-Richtlinie
70/156/EWG vom 06.02.1970 (Amtsblatt-Abl-L 42 vom 23. Februar 1970,
S. 1) i.d.F. der Richtlinie 2001/116/EG vom 20.12.2001 (Abl-EG L 18/1 vom
21.01.2002, S. 39). Dies war auch die Zielsetzung des Gesetzgebers bei der
Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO. Zur Begründung heißt es nämlich (BR-Drucksache
600/04):
"Der Regelungsinhalt des § 23 Abs. 6a StVZO ist nicht mit den in der Richtlinie
70/156/EWG vorgegebenen und von den Mitgliedsstaaten verbindlich
anzuwendenden Begriffsbestimmungen für Fahrzeugklassen und
Fahrzeugtypen für Fahrzeuge der Klasse M 1 (Personenkraftwagen) vereinbar.
..... Die Bestimmung soll daher aufgehoben werden.
Durch die Aufhebung dieses Absatzes werden die Vorschriften der StVZO an
das EG-Recht, und zwar an die Richtlinie 70/156/EWG angepasst. Dieses sieht
bei der Definition der Fahrzeugklassen eine Begrenzung der zulässigen
Gesamtmasse für Kraftfahrzeuge der Klasse M 1 (für die Personenbeförderung
ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit höchstens 8 Sitzplätzen außer dem
Fahrersitz), zu denen auch die Mehrzweckfahrzeuge gehören, nicht vor. Nur
wenn die in dieser Richtlinie im Anhang 2 Abschn. C in Nr. 1
Personenkraftwagen (M 1) unter AF-Mehrzweckfahrzeug beschriebenen
besonderen Bedingungen erfüllt werden, gilt ein solches Fahrzeug nicht als
Fahrzeug der Klasse M 1."
Das Fahrzeug des Antragstellers erfüllt diese Ausnahmebedingung. In Anhang II
der
Richtlinie 2001/116/EG vom 20. Dezember 2001 werden die Begriffsbestimmungen
für Fahrzeugklassen und Fahrzeugtypen in den Gliederungspunkten A bis C
vorgenommen. Danach werden Personenkraftwagen der Klasse M 1 zugeordnet.
Das sind Fahrzeuge, die für die Personenbeförderung ausgelegt und gebaut sind
und höchstens 8 Sitze außer dem Fahrersitz haben. Abweichend hiervon gelten
indes - nach C.1. - sog. "AF-Mehrzweckfahrzeuge" (Kraftfahrzeuge zur Beförderung
von Fahrgästen und deren Gepäck und von Gütern in einem einzigen Innenraum)
dann nicht als Personenkraftwagen (Klasse M 1), wenn sie außer dem Fahrersitz
nicht mehr als 6 Sitzplätze haben und sich das Verhältnis von Nutz- zur
Personenlast nach der Bedingung P ./. (M + N x 68) > N x 68 darstellt.
Der Land Rover Defender verfügt über insges. 5 Sitzplätze lt. Fahrzeugbrief,
sodass
hier vier Sitzplätze für Fahrgäste zur Verfügung stehen. Auch die Lastenformel
ist im
Streitfall zu Gunsten einer abweichenden Einstufung erfüllt. Zwar stimmen die
vom
Antragsteller genannten Zahlen nicht mit den im Fahrzeugbrief enthaltenen Zahlen
überein. Gleichwohl ergibt sich folgende Berechnung zu Gunsten der Nutzlast:
P (techn. zulässige Gesamtmasse in kg) ./. (M {Masse in fahrbereitem Zustand
in kg] + N {Zahl der Sitzplätze außer dem Fahrersitz} x 68) > N x 68
2.950 ./. {2.055 + 4 x 68} > 4 x 68.
Ergebnis: 623 > 272.
Die Bedenken des Antragsgegners, gestützt auf den Beschluss des FG Nürnberg
vom 13.03.2006 VI 417/2005 (EFG 2006, 843), der Antragsteller habe nicht
nachgewiesen, dass der Land Rover ein Mehrzweckfahrzeug der Klasse AF ist, teilt
der Senat nicht. Der Wagen dient zur Beförderung von Fahrgästen und deren
Gepäck oder von Gütern in einem einzigen Innenraum. Außerdem geht aus dem
Fahrzeugbrief im Gegensatz zu den vom FG Nürnberg zu beurteilenden Fahrzeugen
keine EG-Typgenehmigung hervor, die nur der Klasse M 1 (Pkw) vorbehalten ist.
Daraus ist bei summarischer Prüfung im Umkehrschluss abzuleiten, dass das
Fahrzeug nicht unter die Kraftfahrzeuge AA bis AE, sämtlich M 1-Fahrzeuge,
fällt.
Einer Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung bezüglich der verwirkten
Säumniszuschläge bedarf es nicht, weil die Aussetzung der Vollziehung ab
Fälligkeit
ausgesprochen worden ist, so dass die Säumniszuschläge automatisch entfallen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Beschwerde wird zugelassen. Die Rechtssache hat aufgrund der Vielzahl der
betroffenen Fälle grundsätzliche Bedeutung i.S. der §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2
Nr.1
FGO.
© 2006-2020 Thomas W. W. Rode, Braunschweig, E-Mail:
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