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Originaltext: BFH Pressemitteilung vom
02.07.2008, II R 62/07
Besteuerung von Geländefahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über
2,8 t ab 1. Mai 2005 als PKW verfassungsgemäß
BUNDESFINANZHOF
1. Nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO gilt ab 1. Mai 2005 auch für Kfz mit
einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t der von der Rechtsprechung des BFH
entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Kfz zu
beurteilen ist, ob ein PKW oder ein LKW vorliegt. Soweit danach § 2 Abs. 2a
KraftStG die Rechtslage lediglich rückwirkend klarstellt, bestehen keine
verfassungsrechtlichen Bedenken, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes.
2. Ergibt sich in Folge der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO eine Änderung der
Bemessungsgrundlage, ist die Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1
KraftStG neu festzusetzen.
KraftStG § 2 Abs. 2 und 2a, § 8 Nrn. 1 und 2, § 9 Abs. 1 Nr. 3, § 12 Abs. 2 Nrn.
1 und 4
PBefG § 4 Abs. 4 Nr. 1
StVZO § 23 Abs. 6a
Urteil vom 9. April 2008 II R 62/07
Vorinstanz: FG Hamburg vom 30. März 2007 7 K 22/06
(EFG 2007, 1368)
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Toyota Landcruiser
(Typ J8). Das Fahrzeug hat einen Dieselmotor mit einem Hubraum von 4 164 ccm,
ein zulässiges Gesamtgewicht von 2 960 kg und einschließlich des Führerplatzes
fünf Sitzplätze. Es ist seit dem 30. November 1990 mit der Fahrzeug- und
Aufbauart "Personenkraftwagen geschlossen" auf den Kläger zugelassen. Umbauten
an dem Fahrzeug hat der Kläger nicht vorgenommen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stufte das Fahrzeug
des Klägers mit Bescheid vom 14. Februar 2000 als "anderes Fahrzeug" i. S. § 8
Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) ein, unterwarf es der
Gewichtsbesteuerung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG und setzte die Steuer ab dem
30. November 1997 auf jährlich 337 DM (= 172,31 €) fest.
Mit dem auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG gestützten Änderungsbescheid vom 21.
Oktober 2005 setzte das FA die Steuer für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis 29.
November 2005 auf 921 € und für die Zeit ab 30. November 2005 auf jährlich 1 578
€ neu fest. Dabei ging das FA aufgrund der durch die Siebenundzwanzigste
Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 2. November
2004 (BGBl I 2004, 2772) mit Wirkung ab 1. Mai 2005 vorgenommenen Aufhebung des
§ 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) davon aus, dass das
Fahrzeug des Klägers ab diesem Zeitpunkt als PKW gemäß § 8 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs.
1 Nr. 2 KraftStG zu besteuern sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) sah in seinem in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1368 veröffentlichten Urteil nicht die
Änderungsvoraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG, sondern diejenigen des
§ 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG als erfüllt an und vertrat die Auffassung, das Kfz
sei ab 1. Mai 2005 aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit nach Bauart und
Einrichtung unabhängig von der durch das Dritte Gesetz zur Änderung des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 21. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 3344)
rückwirkend zum 1. Mai 2005 eingefügten Vorschrift des § 2 Abs. 2a KraftStG
gemäß § 8 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG als PKW zu besteuern.
Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen die Beurteilung des Fahrzeugs als
PKW. Die Aufhebung des früheren § 23 Abs. 6a StVZO könne diese Beurteilung nicht
rechtfertigen. Die rückwirkende Einführung des § 2 Abs. 2a KraftStG sei nicht
zulässig gewesen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und den Steuerbescheid vom 21. Oktober
2005 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe eine
Verletzung des bestehenden Rechts, doch stellt sich die Entscheidung selbst aus
anderen Gründen als richtig dar. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 126
Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Rechtsgrundlage für die Neufestsetzung
der Kraftfahrzeugsteuer durch Bescheid vom 21. Oktober 2005 ergebe sich aus § 12
Abs. 2 Nr. 4 KraftStG. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar, weil die
ursprüngliche Steuerfestsetzung nicht von Anfang an fehlerhaft war. Vielmehr
sind ab 1. Mai 2005 in Folge der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO Kfz (sog.
Kombinationskraftwagen) mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t --wie
im Streitfall-- nicht mehr ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild als LKW
zu besteuern, sondern es ist neu zu entscheiden, ob ein PKW oder ein LKW
vorliegt (s. unten 2.b); ergibt sich danach eine Änderung der
Bemessungsgrundlage, folgt die Änderungsbefugnis aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG
(Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. März 2008 II B 102/07, juris;
ebenso zur Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts BFH-Urteil vom 31. März 1998
VII R 116/97, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487).
2. Die Vorentscheidung ist gleichwohl nicht aufzuheben, weil sie sich im
Ergebnis als richtig erweist. Das FG ist nämlich in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, beim streitgegenständlichen Kfz
handele es sich um einen PKW i.S. des § 8 Nr. 1 KraftStG.
a) PKW sind solche Kfz, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung
von nicht mehr als neun Personen (einschließlich Fahrer) geeignet und bestimmt
sind (§ 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes). Diese Definition ist
maßgebend für die Einordnung eines Kfz als PKW (BFH-Urteil vom 1. August 2000
VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72; BFH-Beschluss vom 21. August 2006
VII B 333/05, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721). Auf die Einwände des FG gegen
diese Rechtsprechung braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht eingegangen zu
werden. Denn das FG folgt für die im Streitfall entscheidungserhebliche
Rechtsfrage, wie PKW gegen LKW abzugrenzen sind, der Rechtsprechung des BFH.
b) Nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO gilt auch für Kfz mit einem zulässigen
Gesamtgewicht von über 2,8 t der von der Rechtsprechung des BFH entwickelte
Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Kfz zu beurteilen ist, ob
ein PKW oder ein LKW vorliegt (vgl. m.w.N. BFH-Beschluss vom 13. April 2007 IX B
14/07, BFH/NV 2007, 1352). Hierzu obliegt es dem FG als Tatsacheninstanz, unter
Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale die objektive Beschaffenheit des
jeweiligen Fahrzeugs zu bewerten. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu
berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich
zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit
Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der
Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die
Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere
Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers. Kein
Merkmal von Bauart und Einrichtung des Kfz kann dabei als von vornherein
alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes
Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahelegen (vgl.
BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 1352; vom 22. Februar 2007 IX B 221/06, BFH/NV
2007, 1714; vom 30. November 2006 VII B 209/06, nicht veröffentlicht; vom 7.
November 2006 VII B 96/06, BFH/NV 2007, 783; vom 25. Oktober 2006 VII B 263/06,
BFH/NV 2007, 766; vom 26. Oktober 2006 VII B 136/06, BFH/NV 2007, 773; in BFHE
213, 281, BStBl II 2006, 721). Die Einstufung des Kfz durch die Verkehrsbehörde
hat dagegen kraftfahrzeugsteuerrechtlich keine Bindungswirkung (BFH-Beschlüsse
in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; in BFH/NV 2007, 773, und in BFH/NV 2007,
783).
c) Das FG hat seiner Würdigung, dass es sich beim streitgegenständlichen Kfz um
einen PKW handele, das Gesamtbild der Verhältnisse zu Grunde gelegt. An diese
Tatsachenwürdigung ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden; sie lässt im
Revisionsverfahren beachtliche Rechtsfehler, insbesondere Verstöße gegen
Denkgesetze oder Erfahrungssätze, nicht erkennen.
aa) Der Einwand des Klägers, das FG habe zu Unrecht nicht darauf abgestellt,
dass durch bloßes Umklappen der Rücksitzbank die Ladefläche vergrößert werden
könne, geht fehl. Das Erscheinungsbild eines Kfz wird durch die Möglichkeit, die
Rücksitzbank umzuklappen, nicht entscheidend geprägt (BFH-Beschluss vom 22.
Dezember 2003 VII B 65/03, BFH/NV 2004, 536). Der Kläger verkennt zudem die
Rechtslage, wenn er meint, ein Ausbau der Sitzbank sei nicht erforderlich und es
genüge, die Sitzbank dauerhaft umgeklappt zu halten. Für die Umrüstung und
Umwidmung eines PKW in einen LKW ist es vielmehr erforderlich, die Sitze
auszubauen und Sitzbefestigungspunkte und Gurthalterungen auf Dauer unbrauchbar
zu machen (vgl. m.w.N. BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 37/99, BFH/NV 2001,
345; BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2006 VII B 120/06, BFH/NV 2007, 503). Soweit
der Kläger schließlich einwendet, das streitgegenständliche Fahrzeug werde als
Zugfahrzeug eingesetzt und könne große Lasten ziehen und transportieren,
verkennt er, dass es auf die Eignung und Bestimmung des Fahrzeugs ankommt, nicht
jedoch auf dessen tatsächliche Verwendung (BFH-Urteil vom 5. Mai 1998 VII R
104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
bb) Soweit der Kläger sich dagegen wendet, das FG habe die Auskleidung des
Gepäckraums mit Teppich als Merkmal gewürdigt, das für die Bestimmung und
Eignung des Fahrzeugs zur Personenbeförderung spreche, so ist diese
Schlussfolgerung nicht nur möglich, sondern sogar nahe liegend.
3. Der angefochtene Änderungsbescheid verstößt auch nicht gegen die
verfassungsrechtliche Gewährleistung des Vertrauensschutzes.
a) Der Bescheid beruht, wie dargelegt, nicht auf der durch das Gesetz vom 21.
Dezember 2006 rückwirkend zum 1. Mai 2005 in Kraft gesetzten Regelung des § 2
Abs. 2a KraftStG, nach der bestimmte Fahrzeuge als PKW gelten. Dieser Vorschrift
kommt im Streitfall keine konstitutive, sondern allenfalls eine klarstellende
Bedeutung zu (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1352). Verfassungsrechtliche
Bedenken gegen eine bloße rückwirkende Klarstellung der Rechtslage bestehen
nicht (vgl. Urteile des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 24. Juli 1968 1
BvR 537/65, BVerfGE 24, 75, 92, und des BFH vom 14. April 1986 IV R 260/84, BFHE
146, 411, BStBl II 1986, 518).
Wie die Rückwirkung des § 2 Abs. 2a KraftStG verfassungsrechtlich zu beurteilen
ist, wenn sich im Einzelfall die Eigenschaft eines Fahrzeugs als PKW anders als
im Streitfall nicht schon aus den bereits am 1. Mai 2005 bestehenden
Bestimmungen, sondern erst aus dieser Vorschrift ergeben sollte, ist in der
vorliegenden Streitsache nicht entscheidungserheblich.
b) Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Zwar beziehen sich
die Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO und die sich unmittelbar daraus ergebenden
Folgen für die Kraftfahrzeugsteuer auch auf bereits vor der Verkündung der
Änderungsverordnung vom 2. November 2004 zugelassene Fahrzeuge; dabei handelt es
sich jedoch um eine verfassungsrechtlich zulässige tatbestandliche
Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung), die unter Berücksichtigung der
vergleichsweise geringen Intensität des in der Steuererhöhung liegenden
Eingriffs durch die Interessen des Staates und des Gemeinwohls gerechtfertigt
ist.
Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert
fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (BVerfG-Beschluss vom 5.
Februar 2002 2 BvR 305/93 u.a., BVerfGE 105, 17, 40). Das gilt auch für den
Bereich der Kraftfahrzeugsteuer (BFH-Beschluss vom 24. April 2001 VII S 6/01,
BFH/NV 2001, 1303). Zwischen der Verkündung der Verordnung vom 2. November 2004
und dem Wirksamwerden der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO lagen zudem mehrere
Monate, in denen sich die Steuerpflichtigen auf die neue Rechtslage einstellen
konnten.
c) Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFH/NV
2008, 651, m.w.N.) bestehen schon deshalb nicht, weil eine Änderung der
maßgebenden Vorschriften einer solchen Kontinuität entgegensteht.
© 2006-2020 Thomas W. W. Rode, Braunschweig, E-Mail:
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